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Ärztliche Körperverletzung: Auch das Skalpell ist ein gefährliches Werkzeug

Lange sah die Rechtsprechung in einem von Ärztinnen und Ärzten verwendeten Skalpell kein gefährliches Werkzeug, da diese schließlich damit umzugehen wüssten. Darauf kommt es aber heute nicht mehr an, erläutert nun der 4. Strafsenat des BGH.

Wenn Ärztinnen und Ärzte bei einer lege artis ausgeführten Operation, die zuvor mit der Patientin bzw. dem Patienten besprochen wurde, das Skalpell ansetzen, begehen Sie damit immer eine Körperverletzung. Diese Feststellung ist so banal wie für juristische Laien oft schockierend. Und natürlich machen sich die Medizinerinnen und Mediziner nicht strafbar, denn bei einer wirksam erteilten Einwilligung ist der Eingriff gerechtfertigt. Doch die Perspektive macht deutlich, dass ein gewisses Strafbarkeitsrisiko im ärztlichen Alltag stets mitschwingt. Ist die betroffene Person etwa nicht hinreichend aufgeklärt worden, bewegt sich das medizinische Personal in der Tat auf rechtlich dünnem Eis.

Vielleicht war es auch diese Erkenntnis, die Gerichte und juristische Kommentatoren in der Vergangenheit dazu veranlasst haben, dieses Strafbarkeitsrisiko wenigstens etwas abzumildern. Während der Grundtatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB einen Strafrahmen bis zu fünf Jahren ohne Mindeststrafe vorsieht, droht § 224 Abs. 1 Nr. 2 2. Var. StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren an, wenn bei der Tat ein gefährliches Werkzeug im Spiel ist. Hätte man also das von einem Arzt oder einer Ärztin bei einer Operation benutzte Skalpell als gefährliches Werkzeug eingestuft, so wäre das Strafbarkeitsrisiko deutlich höher gewesen. Hiervon haben die Rechtsprechung und Teile der Literatur bislang abgesehen. Nun aber teilt der 4. Strafsenat des BGH in einem Beschluss mit, dass auch bei lege artis ausgeführten ärztlichen Eingriffen der Tatbestand des § 224 StGB erfüllt sein kann (Beschluss vom 19.12.2023  4 StR 325/23).

Mutter täuschte Erkrankungen ihrer Kinder vor und ließ Operationen durchführen

Hintergrund war der Fall einer Mutter, die am sogenannten Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom litt. Dabei handelt es sich um eine psychische Störung, die sich dadurch manifestierte, dass sie gegenüber Ärztinnen und Ärzten sowie Bekannten Krankheiten ihrer Kinder erfand oder dramatisierte. Sie tat dies offenbar, um als besorgte und aufopferungsvolle Mutter zu erscheinen und in Anbetracht ihres vermeintlich schweren Schicksals Aufmerksamkeit und vielleicht auch Mitleid zu bekommen.

Strafrechtlich relevant wurde ihr Verhalten schließlich dadurch, dass sie durch ihre Lügen auch medizinische Operationen an ihren Kindern veranlasste. So gab sie in einem Krankenhaus an, ihre Tochter leide an Verstopfung, bis schließlich ein Chefarzt vorübergehend einen künstlichen Darmausgang für das eineinhalb Jahre alte Kind legen ließ, um die Symptome abzuklären. In Bezug auf ihre jüngste Tochter behauptete sie, diese leide an einer Trinkschwäche, sodass man im Krankenhaus schließlich operativ eine Ernährungssonde legte. Diese sabotierte sie anschließend selbst, indem sie ihrer Tochter keine Nahrung zuführte, sodass diese bald unterernährt war. Erst als das Personal im Krankenhaus schließlich Verdacht schöpfte und die Mutter von ihrer Tochter trennte, nahm das Kind wieder zu.

BGH stuft ärztlich geführtes Skalpell als gefährliches Werkzeug ein

Nachdem ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, verurteilte das LG die Frau schließlich wegen in mittelbarer Täterschaft begangener Misshandlung von Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Der BGH bestätigte die Verurteilung nun im Wesentlichen, änderte aber den Schuldspruch wegen Körperverletzung ab und bejahte statt einer das Leben gefährdenden Behandlung – für die man den Vorsatz nicht hinreichend belegt sah – eine gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs.

Die Vorgeschichte zu dieser Entscheidung ist vor allem eine Gesetzesänderung. Im Rahmen des sechsten Strafrechtsreformgesetzes, das am 1. April 1998 in Kraft trat, wurden die Körperverletzungsdelikte umfangreich überarbeitet, wobei der alte § 223a StGB durch den neu gefassten § 224 StGB ersetzt wurde. In der alten Norm hieß es noch: „Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges (…) begangen…“, woraus Rechtsprechung und Lehre den Schluss zogen, dass ein Messer oder ein anderes gefährliches Werkzeug lediglich Unterfälle einer Waffe darstellten. Sie lagen deshalb nur dann vor, wenn der Täter oder die Täterin den Gegenstand bei einem Angriff oder Kampf als Angriffs- oder Verteidigungsmittel nutzte, was bei einem bestimmungsgemäßen benutzten ärztlichen Werkzeug ersichtlich nicht der Fall war.

Nach Strafrechtsreform keine Verwendung als Angriffsmittel mehr erforderlich

Inzwischen aber sind gefährliche Gegenstände nicht mehr bloß Unterfälle einer Waffe, es ist vielmehr andersherum, so der 4. Strafsenat, womit auch kein Einsatz als Angriffs- oder Verteidigungsmittel mehr erforderlich sei. Die Karlsruher Richterinnen und Richter begründeten dies sehr dezidiert und deklinierten dazu alle gängigen Methoden der Gesetzesauslegung durch. Sie setzten sich mit der Historie und der gesetzgeberischen Intention bei der Strafrechtsreform auseinander, kamen aber zu dem Schluss, dass der neue Wortlaut und die Gesetzessystematik nur diese Konsequenz zuließen.

Der BGH trat auch einer teilweise vertretenen Ansicht entgegen, wonach ärztliche Werkzeuge nie als gefährliche im Sinne des § 224 StGB gelten sollen, da sie in der Hand einer fachkundigen Person gar keine erhöhte Gefahr darstellten. „Gerade auch beim Einsatz von chirurgischem Gerät, das bestimmungsgemäß von einer ärztlichen Behandlungsperson verwendet wird“, könne eine erhöhte Gefahr für Leib und Leben bestehen, so der Senat. Ob dies der Fall ist, richtet sich – wie üblich – nach der objektiven Beschaffenheit des Gegenstandes und der Art der Benutzung im Einzelfall.

Der Senat bezog dies nur auf den Fall eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs („jedenfalls“), über den hier zu entscheiden war. Ob die Ausführungen auch auf medizinisch indizierte, gleichwohl nicht eingewilligte Eingriffe anwendbar sind, ließ er offen.

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