Der BGH hat zwei Ärzte freigesprochen, die Patienten bei deren Suizid-Wunsch unterstützt und auf Rettung verzichtet haben.
Hamburger Verfahren (5 StR 132/18)
Nach den Feststellungen im Urteil des LG Hamburg litten die beiden miteinander befreundeten, 85 und 81 Jahre alten suizidwilligen Frauen an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte der Angeklagte, ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ es auf ihren ausdrücklichen Wunsch, nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten.
Das LG Hamburg hatte den Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Der Angeklagte sei aufgrund der ihm bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide auch nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen. Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der beiden Frauen hatte das Landgericht nicht feststellen können.
Berliner Verfahren (5 StR 393/18)
Gemäß den Feststellungen im Urteil des LG Berlin hatte der Angeklagte als Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem in hoher Dosierung tödlich wirkenden Medikament verschafft. Die 44-jährige Frau litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten – nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte – um Hilfe beim Sterben gebeten. Der Angeklagte betreute die nach Einnahme des Medikamentes Bewusstlose – wie von ihr zuvor gewünscht – während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.
Das LG Berlin hatte den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit sei er nicht verpflichtet gewesen. Denn die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen.
Der BGH hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt.
Nach Auffassung des BGH hätte eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen hätten die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenverantwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ und seien nicht Ergebnis psychischer Störungen gewesen.
Beide Angeklagte seien nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet gewesen. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hätte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren sei jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden gewesen.
Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB sei nicht in strafbarer Weise verletzt worden. Da die Suizide, wie die Angeklagten gewusst hätten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, seien Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten gewesen.
Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) sei das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen gewesen, da dieser zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft gewesen sei.
Dass die Angeklagten mit der jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung möglicherweise ärztliche Berufspflichten verletzten, sei für die Strafbarkeit ihres Verhaltens im Ergebnis nicht von Relevanz.
Die Urteile des LG Hamburg und des LG Berlin sind damit rechtskräftig.
Pressemitteilung des BGH Nr. 90/2019 v. 03.07.2019
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